Der Geraer Autor und Kriminalrat a. D. Hans Thiers bringt sein drittes Buch zur Buchmesse in Leipzig heraus – zahlreiche Lesetermine in Thüringen folgen.
Hans Thiers (links) und Kriminaltechniker Rolf Rabe (ehemals Muk Gera) bei Dreharbeiten im Forst um Bad Klosterlausnitz. Foto: Thiers
Zweimal in der Woche geht Hans Thiers zum Spinning. Der alten Verbundenheit zum Radsport wegen, aber hauptsächlich, um sich fit zu halten. Denn der 71-Jährige hat ein straffes Pensum an Arbeit und Terminen zu absolvieren. Seit er 2013 mit dem Bücherschreiben begonnen hat und neben dem „Kriminalrat a.D.“ in seiner Biografie noch der „Buchautor“ dazu gekommen ist.
Geplant war das nicht zum Renteneintritt, und der Erfolg seiner Bücher und Lesungen zunächst auch nicht vorhersehbar. Aber alles hat sich gefügt – wie so vieles im Leben von Hans Thiers.
Mittlerweile bringt er sein drittes Buch auf den Markt. Zur Buchmesse in der kommenden Woche in Leipzig wird am Stand des Verlages Kirchschlager aus Arnstadt erstmals sein Werk „Serienmörder in der DDR“ der Öffentlichkeit präsentiert. Es folgen dazu am 21. März in der Stadt- und Regionalbibliothek Gera das erste Leseinterview und anschließend zahlreiche Termine in Thüringen. Längst sind er, der Autor, und Michael Kirchschlager, sein Verleger aus Arnstadt, ein eingespieltes Team – sowohl beim Publizieren als auch bei Leseterminen.
Bei einer Lesung von Kriminaloberrat a. D. Klaus Dalski in der Bibliothek in Gera haben sich die beiden das erste Mal getroffen. Auch Dalski, Thiers Erfurter Kollege und mit ihm bekannt durch bezirksübergreifende Fälle, berichtete als Autor über authentische Kriminalfälle. Davon hatte der einstige Geraer Kriminalrat Hans Thiers auch einige in petto. Immerhin hat er während seiner Dienstzeit 150 Tötungsverbrechen im Bezirk Gera bearbeitet – und 98 Prozent davon durch das Zusammenwirken des Kollektivs der Muk Gera mit allen Kriminalisten der nachgeordneten Dienststellen und den Mitarbeitern des Institutes für gerichtliche Medizin Jena aufgeklärt.
45 Fälle aus den letzten zwei Jahrzehnten der DDR
Nachdem sich Autor und Verlag einig waren, stürzte sich Hans Thiers in die Arbeit, begann im Staatsarchiv Rudolstadt die Akten zu studieren und in die alten Mordfälle einzutauchen. Damals, als Ermittler, hatte er sich Tage und Nächte um die Ohren geschlagen, war Wochen, Monate damit beschäftigt, den Täter zu überführen. Noch heute erinnert er sich an jede Kleinigkeit .
Das Niederschreiben 2014 ging ihm entsprechend zügig von der Hand. Vier Monate brachte er zumeist die Abende im Dachgeschoss seiner Wohnung in Gera-Untermhaus damit zu, die Fälle für den ersten Band zu Papier zu bringen. Nüchtern, sachlich, distanziert. Eben so, wie es seiner Art als studierter Diplomkriminalist und Leiter der Morduntersuchungskommision entsprach. „Deshalb ist er für dieses Buch der richtige Autor“, so sein Verleger. „Weil er in die Fälle involviert war, sie erlebt hat und für die Recherche Kontakte zu Zeitzeugen und Kollegen hat. Insofern sind seine Bücher ein Stück Kriminalhistorie der DDR.“
45 Fälle aus den Jahren 1973 bis 1990 hat Hans Thiers im ersten Band versammelt. Es ist ein kriminalistisches Sachbuch geworden, wie er es selbst beschreibt. Angereichert mit Tatortfotos, Zeitungsberichten, Zeugenaussagen, Skizzen, Phantomzeichnungen, Aktennotizen und Handschriftproben. Authentisch sollte alles sein – und sachlich. Dieser Stil kommt an bei den Lesern. Knapp drei Jahre nach Erstveröffentlichung wird bereits die sechste Auflage des ersten Bandes gedruckt. Dazwischen liegen 200 Leseinterviews, die den Autor und seinen Verleger nach ganz Thüringen und darüber hinaus führen. Mittlerweile werden einige alte Fälle mit ihm gemeinsam auch für Fernsehbeiträge rekonstruiert.
Die Zuhörer, Leser und Zuschauer können damit etwas anfangen, kennen die Örtlichkeiten, können sich teilweise sogar noch erinnern – an die drei Morde in Bürgel 1976,1978 und 1982 beispielsweise, oder an die Tote im Ölbach in Unterwellenborn 1978, an den Polizistenmord 1979 in Gera, oder an die Transitleiche von Bad Klosterlausnitz 1979. Alles zugetragen in unmittelbarer Nachbarschaft.
Das Buch „Mordfälle im Bezirk Gera“ geht weg wie warme Semmeln und der Wunsch nach einer Fortsetzung wird immer wieder geäußert. Nur ein Jahr nach dem ersten Band folgt also Band II. Ebenfalls mit Mordfällen aus dem Bezirk Gera, allerdings von 1945 bis 1990, so dass sich damit auch die historische Entwicklung im Strafgesetz der ehemaligen DDR und der Polizeiarbeit nachvollziehen lässt.
Ein Querschnitt aller Tötungsverbrechen
Beispielsweise ist im zweiten Band ein Fall aus dem Jahr 1947 in Könitz bei Saalfeld beschrieben – das wohl grausamste Verbrechen der Nachkriegsgeschichte. Franz Schmidtke gibt damals an, seine Frau, sein vierjähriges Stiefkind und die Schwiegermutter hätten ihn Richtung Westen verlassen. Nur glaubt ihm die Kripo nicht und leitet die Ermittlungen ein. Vier Jahre sollten die andauern, bis die Polizisten ihn überführen können. Am 28. März 1952 wird der Dreifach-Mörder zum Tode verurteilt. Doch bevor das Urteil vollstreckt wird, erhängt sich der Täter im Gefängnis.
Sachlich schildert der Autor, wie es in der Nachkriegszeit aufgrund von Lebensmittelmangel zu Mordverbrechen kam und welche psychosozialen Auswirkungen die Besatzungszeit mit sich brachte. Auch die Todesstrafe und der letzte Fall aus dem Bezirk Gera spielt eine Rolle, wurde sie doch in der DDR noch bis Anfang der 70er-Jahre vollstreckt. Seine Schilderungen bilden den Querschnitt aller Tötungsverbrechen – von Sexualstraftaten über Raubmord bis zum Babymord. „Und das durch alle sozialen Schichten.“
Grausam, wozu Menschen imstande sind
Das Phänomen ist auch im dritten Buch über „Serienmörder der DDR“ zu beobachten. Der Recherecheaufwand war angesichts der thematischen Ausdehnung auf den ganzen Osten entsprechend größer. Doch noch nie vorher habe es ein solches zusammenfassendes Sachbuch gegeben. „Und solange es lebende Quellen gibt, muss man das Geschehene aufschreiben“, erzählt Hans Thiers, der in seinem neuesten Werk auch kritische Töne anschlägt: „In einigen Fällen wurden nach der Wende entlassene Mörder zu Serienvergewaltigern und -mördern. Unschuldige Menschen mussten sterben, weil die Justiz Mörder als resozialisiert einstufte.“
Einmal mehr ist es grausam zu lesen, wozu Menschen alles imstande sind – besonders, wenn man sich, wie im neuen Buch, mit Serienmördern befasst. „Diese töteten nicht selten brutal und sexuell motiviert, wie zum Beispiel Erwin Hagedorn, der dreifache Knabenmörder aus Eberswalde oder Mario St., der fünffache Knabenmörder aus Neubrandenburg oder Volker Eckert aus Plauen und Hof, der wendeübergreifend sieben Menschen ermordete. Es sind menschliche Tragödien, von denen der Autor berichtet – auch von Frauen, die ihre Säuglinge unmittelbar nach der Geburt töten. Leider gibt es auch diese Fälle seit Menschengedenken.
Kann Hans Thiers nach all seinen Erlebnissen und mit seinem Fachwissen noch schlafen und an das Gute im Menschen glauben? „Ja, kann ich. Sonst könnte man einen solchen Beruf nicht ausüben.“
Biografie
Hans Thiers wurde am 21. Juni 1946 in Wegefarth, Kreis Freiberg, geboren.
Nach Schule und Lehrausbildung 1965 Wehrdienst in der Sportkompanie in Dresden – durch Täve Schur entdeckt er den Radsport für sich und beginnt 1962 seine sportliche Laufbahn in Freiberg. Bis dahin hat er schon 15 offene DDR-Straßenradrennen gewonnen und schafft es in die DDR-Jugendauswahlmannschaft.
Um die sportliche Laufbahn weiter verwirklichen zu können, wird er zur Bereitschaftspolizei nach Dresden in die Sportkompanie eingezogen.
Im Mai 1967 Delegierung zum Bahn-Radsportleistungszentrum der SG Dynamo-Gera-Mitte – er wird Sportinstrukteur in der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Gera.
Sein Hobby wird zum Beruf: 1968 bis Ende 1971 erreicht er eine Vielzahl sportlicher Erfolge, gewinnt 15 nationale und internationale Bahnrennen.
Weitere Erfolge bei Bahn- und Straßenrennen in der DDR, CSSR, Rumänien und Polen – insgesamt etwa 60 Siege und vordere Platzierungen national und international.
1971 endet seine sportliche Laufbahn.
Ab Januar 1972 ist er Sportoffizier in der Bezirksdirektion der Deutschen Volkspolizei Gera, im Mai 1973 wird er in die Morduntersuchungskommission (Muk) als Untersuchungsführer versetzt.
Vierjähriges Fernstudium an der Fachschule der Deutschen Volkspolizei in Ascherleben.
Sein Fernstudium 1978 bis 1983 an der Humboldt-Universität zu Berlin schließt er als Diplomkriminalist ab.
Im Herbst 1980 wird ihm die Leitung der Morduntersuchungskommission des Bezirks Gera übertragen.
Als Kriminalrat a.D. wird er im September 1990 aus dem aktiven Dienst entlassen.
Von Oktober 1990 bis Dezember 1992 im Außendienst bei zwei Versicherungsunternehmen.
1993 Direktionsbeauftragter bei der Sparkassenversicherung, 1996 bis zur Berentung 2011 Organisationsleiter.
2014 erscheint „Mordfälle im Bezirk Gera I“, im Oktober 2015 Band II. In wenigen Tagen erscheint nun das dritte Buch: „Massenmörder der DDR“.
Hans Thiers ist seit 1969 verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkelkinder.
Seit 1967 arbeitet und wohnt er in Gera.
Leseinterviews und Gespräche mit Autor und Verleger
Samstag, 10. März, 19 Uhr, Camburg, Stadtmuseum: „Mordfälle im Bezirk Gera“
15.bis 18.März, Buchmesse Leipzig: Buchpräsentation „Serienmörder der DDR“, Stand Verlag Kirchschlager
Mittwoch, 21. März, 19 Uhr, Gera, Bibliothek, Puschkinplatz 7: „Serienmörder der DDR“ , Leseinterview
Donnerstag, 22.März, 15 Uhr, Gera-Lusan, Verein „Weißer Ring“, Begegnungsstätte „Eichenhof“, Eichenstraße 11b: „Serienmörder der DDR“, Leseinterview
23. bis 31. März, 14 bis 16 Uhr, Gera, Thalia: Signiertage
Samstag, 24. März, 20 Uhr, Gera, ehemaliges Bergarbeiterclubhaus, Heinrichstraße: „Serienmörder der DDR“, Leseinterview
Freitag, 6. April,19 Uhr, Crossen, Klubhaus, Hauptstraße 12: „Serienmörder der DDR“
Dienstag, 10. April, 20 Uhr, Vollmershain, Bravo & Eiscafé, Dorfstr.70: „Serienmörder der DDR“
Mittwoch, 11. April, 19 Uhr, Altenburg, Weißer Ring:„Serienmörder der DDR“
Freitag, 13. April, 20 Uhr, Gera, Clubzentrum „Comma“, Heinrichstraße 47: „Serienmörder der DDR“, „Kriminalisten im Kreuzverhör“ mit Andreas Schmidt-Schaller, Siegfried Schwarz und Uwe Theuerkorn
Freitag, 20. April, 19.30 Uhr, Gera, Österreich am Markt, Markt 15: „Serienmörder in der DDR“
Mittwoch, 25. April, 19.30 Uhr, Gera, Buchhandlung Schmitt & Hahn: „Serienmörder der DDR“
Freitag, 27. April, 19.30 Uhr, Niederpöllnitz, Vereins- und Kulturhaus: „Serienmörder der DDR“
Dienstag, 8. Mai, 19 Uhr, Greiz, Bibliothek: „Serienmörder der DDR“
Mittwoch, 9. Mai, 18 Uhr, Gera, Gaststätte „Küche im Keller“, Lutherstraße 20: Krimi-Dinner zu „ Serienmörder der DDR“
Freitag, 11. Mai, 19 Uhr, Gera, Tonstudio Claudia und Achim Horn, Langengrobsdorfer Straße 11: „Serienmörder der DDR“
Mittwoch, 16. Mai, 18.30 Uhr , Gera, Brendel’s Buchhandlung: „Serienmörder der DDR“
Donnerstag, 24. Mai, 19 Uhr, Gera, „Reussische Brauerei 1880“, Stadtgraben 4: Krimi-Dinner zu „Serienmörder der DDR“
Mittwoch, 30. Mai, 19.30 Uhr, Pößneck, Bibliothek: „Serienmörder der DDR“
Mittwoch, 6. Juni, 18 Uhr, Gera-Lusan, Geschichtswerkstatt , Kastanienstraße 7, Ladenzeile
8. bis 10. Juni Literaturfest in Meißen
Freitag, 14. September, 20 Uhr, Gera, „Reussische Brauerei 1880“: Gespräch mit Lothar Schirmer und Hans Thiers
Die Hausgeburt
Auszug aus der Mordsache Familie Fiedler 1984 - 1988
Wernigerode
Am 16. Dezember 1988 sahen sich Margitta Fiedler und ihre Kinder eine Fernsehserie an. Als bei ihr die Wehen einsetzten, gab die Mutter ihrem großen Sohn den Auftrag, den Vater von der Arbeit zu holen. Die abgesprochene Losung lautete: Es ist Besuch da, du sollst nach Hause kommen. Doch Manfred Fiedler konnte seinen Arbeitsplatz nicht verlassen, um seine Frau, wie bei den Hausgeburten zuvor, zu unterstützen. Der Junge lief in die Wohnung zurück. „Dann müssen du und Mike eben helfen“, verlangte die Mutter, die im Schlafzimmer alles vorbereitet hatte.
Kaum hatte Margitta Fiedler ein kleines Mädchen geboren, legte sie dem Neugeborenen Zellstoff aufs Gesicht. Dann verbrachte sie das Kind in eine Korbkiste und ließ es sterben. Kurz nach der Entbindung stand sie wieder auf und sah weiter fern.
Als ihr Mann später nach Hause kam, fragte er nur kurz: „Alles gut gelaufen?“ „Ja“, antwortete Margitta Fiedler, „du musst es demnächst wegschaffen.“ Manfred Fiedler ging daraufhin zu einer Betriebsfeier ins Hotel „Zur Post“.
Auf diese Art und Weise wurden durch die Familie Fiedler aus Wernigerode fünf Babys nach der Geburt getötet und verbrannt.
Das Urteil
Am 29. Mai 1990 begann vor dem 1. Strafsenat des Magdeburger Bezirksgerichts der Prozess. Die Anklage lautete: Mehrfach gemeinschaftlich begangener Mord, Anstiftung zum Mord und Totschlag. Die psychiatrischen Gutachten bescheinigten dem Ehepaar volle Zurechnungsfähigkeit. Sohn Mirko wurde im Zusammenhang mit der Tat im Dezember 1988 attestiert, nicht schuldfähig zu sein. Am 18. Juni 1990 wurden Margitta und Manfred Fiedler zu je 15 Jahren Haft verurteilt. In ihren Schlussworten bedauerten beide ihre Taten: „Wir haben schwere Schuld auf uns geladen und bereuen zutiefst.“
aus Thüringer Allgemeine - Ulrike Kern / 10.03.18