Eine Enteignung steht unmittelbar bevor. Für die Sofortsicherung sind bereits 1,5 Millionen Euro eingeplant. Ramelow: Das Anwesen soll für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben.
Das Kavalierhaus von Schloss Reinhardsbrunn in Friedrichroda. Foto: Marco Kneise
Reinhardsbrunn/Weimar. Der Bescheid ist auf dem Weg: Anfang Juli soll die Enteignung von Schloss Reinhardsbrunn durch das Landesverwaltungsamt beim Land Thüringen vorliegen. Beantragt hat dies das Kabinett 2016.
Nach einer Einspruchsfrist kann das Land voraussichtlich im Spätsommer über die Liegenschaft verfügen. Schon jetzt ist klar, dass viel Geld investiert werden muss, wenn das marode Schloss dem Freistaat zufällt. Allein zur Notsicherung wurden bereits 1,5 Millionen Euro eingestellt. Die Wiederherstellung des Anwesens könnte schätzungsweise mindestens 20 bis 30 Millionen Euro kosten.
Das Schloss im Juni 2018. Foto: Gerlinde Sommer Das Schloss im Juni 2018. Foto: Gerlinde Sommer
Es muss davon ausgegangen werden, dass es einer Dekade bedarf, ehe das Schloss wieder nutzbar sein wird. Für Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) ist klar, dass das Anwesen künftig der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Die Nutzungsart sei vorerst noch offen.
Die Bedeutung des Areals, auf dem das mittlerweile in einem bedauernswerten Zustand befindliche Schloss steht, reicht bis in die Zeit zu Beginn des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung zurück.
Damals siedelten sich in Reinhardsbrunn Mönche an; mit der Reformation war das vorbei. Später gehörte das Anwesen dem heimischen Adel; Johann Wolfgang von Goethe war ebenso Gast wie die 15-jährige Victoria, die später Queen werden und ihren Gothaer Vetter heiraten sollte.
Von den Nazis wurde Beutegut nach Reinhardsbrunn geschafft; die DDR richtete ein Devisenhotel ein. Mit dem Hotelbetrieb ging es in den 1990er Jahren bergab. Nach dem letzten Verkauf wurde die Liegenschaft zum Dornröschenschloss. Bereits unter Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) gab es Bestrebungen, Reinhardsbrunn zurückzuholen. Unter Rot-Rot-Grün steht dieser Schritt nun unmittelbar bevor.
Zwischen Hoffen und Bangen
Über alles wächst Gras. Und doch gibt es in dem Park rund um das marode Anwesen in Reinhardsbrunn gemähte Wege. Das ist dem Förderverein Schloss und Park Reinhardsbrunn zu verdanken. 2011 haben sich Menschen zusammengefunden, die nicht länger hinnehmen wollten, was da mit dem einstigen Anziehungspunkt am Rande von Friedrichroda (Kreis Gotha) passiert. Schon zuvor war die Negativentwicklung dieses kulturhistorisch so wichtigen Ortes einigen Personen aus der Region Anlass zum Engagement. Seit der Hotelbetrieb auf dem Areal eingestellt worden war, gab es Anlass zur Sorge. Der jetzige Eigentümer ließ das Anwesen verkommen.
So sieht der Ahnensaal derzeit aus. Foto: Gerlinde Sommer So sieht der Ahnensaal derzeit aus. Foto: Gerlinde Sommer
Die Menschen, die sich ehrenamtlich für Park und Schloss engagieren, mähen nicht nur Wege und machen Subbotnik im Park; sie laden auch zu Führungen ein: Von April bis Oktober, jeweils mittwochs, samstags, sonntags und an Feiertagen in Thüringen geht es um 15 Uhr los. Treffpunkt ist am Eingang Kavaliershaus. Zudem bereiten sie für Mitte August ein Fest im Park vor. Und anders als in anderen Jahren, in denen vor allem die Trauer vorherrschte über den zunehmenden Verfall, dürfte diesmal ein wichtiger Etappensieg gefeiert werden: Es ist zu erwarten, dass Anfang Juli bereits der Bescheid des Landesverwaltungsamtes bei der Landesregierung vorliegen wird, der für die Enteignung von Schloss Reinhardsbrunn maßgeblich ist.
Die Idee, dass das Haus vom jetzigen Eigentümer auf diesem Wege zurückgeholt werden sollte, gibt es schon lange. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) betont, dass er dieses Vorhaben sozusagen von seiner Vorgängerin, Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU), übernommen habe. Das rot-rot-grüne Kabinett beschloss vor mittlerweile fast zwei Jahren die Enteignung. Zwei Jahre Vorbereitung waren diesem Beschluss vorausgegangen. Der Enteignungsversuch gilt als deutschlandweit beispielloser Vorgang, wie seinerzeit Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) als zuständiger Staatskanzlei- und Kulturminister betonte.
Hintergrund des angestrebten Eigentumsentzugs: Die denkmalschutzrechtlichen Verpflichtungen wurden nie erfüllt. Schon in den Vorjahren war es notwendig geworden, dass das Land mehrfach Geld in fünfstelliger Höhe in Notsicherungsmaßnahmen stecken musste. Wenn jetzt das Land die Liegenschaft erhalten wird, werden Millionen nötig: 1,5 Millionen Euro allein für Notsicherung, dann voraussichtlich 20 bis 30 Millionen Euro für die Wiederherstellung und Nutzbarmachung.
Holger Reinhardt, Fachbereichsleiter im Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege, hatte jüngst sogar von 40 Millionen Euro gesprochen, die nötig seien.
Ausgeschlachtetes Haus wirkt wie ein Kadaver
Das Betreten des Schlosses ist keinem anzuraten, denn es besteht Gefahr für Leib und Leben in dem Haus, das wie ein Kadaver wirkt, weil es derart ausgeschlachtet ist. Vor der Begegnung muss nicht nur deshalb gewarnt werden, weil heimliche Besucher durch die maroden Böden brechen könnten. Nein, das Haus zieht offenbar auch finstere Gestalten an, die dort wohl nicht nur Schabernack treiben. So hängt in einem Raum ein zu einer Schlinge gebundenes Elektrokabel von der Decke. Und eine Bierflasche mit abgeschlagenem Kopf, die auf dem Boden steht, trägt das Motto: Einer für alle, alle für einen. Die, die das gesehen haben, wollen sich gar nicht ausmalen, was sich da abgespielt haben mag.
Im Schloss besteht Gefahr für Leib und Leben. Foto: Gerlinde Sommer Im Schloss besteht Gefahr für Leib und Leben. Foto: Gerlinde Sommer
Der Ahnensaal, in dem einst Ministerpräsident Josef Duchac (CDU) kurz nach der Wiedergründung Thüringens Anfang der 1990er-Jahre die Ostministerpräsidenten zu einer Tagung empfing, gibt ein Jammerbild ab. Zwar schauen die dort ins Gewölbe gemalten thüringischen Herrscher aus sechs Jahrhunderten am Orte noch immer von oben auf den Raum. Doch die Spiegel sind so schadhaft wie Boden und Wände. Ein Bild des Jammers. Einer Ruine gleicht die Kirche.
Einst wurde sie so erbaut, dass das Licht von oben einfallen könnte. Was nun mit Tageslicht beleuchtet wird, ist eine Mischung aus Müll und Steinen. Und doch ist die Schönheit dieses Raumes noch zu erahnen. Die Kirche strahlt trotz des desolaten Zustandes Erhabenheit aus.
Aus Zeiten, als die DDR dort Devisenzahler unterbrachte, sind Fliesen in Gelb, Schwarz-Blau und Crash-Lila erhalten. Die Einteilung der Räume zeigt: Wer hier ein Seminarhaus, einen Tagungsort oder was auch immer einrichten will, wird viel Geld in die Hand nehmen müssen. Ministerpräsident Bodo Ramelow sagt, noch sei es zu früh, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie die vielen Millionen zu mobilisieren seien. „Wenn es einen soliden und solventen Partner gäbe: Warum nicht? Aber wir werden nicht krampfhaft nach irgendwem suchen“, macht er deutlich.
„Das Schloss muss einen Wert für die Menschen haben.“
Dass ein privates Engagement zu einem guten Ergebnis führen kann, zeigt sich für Ramelow bei der Ordensburg Liebstedt (Weimarer Land). Die dortigen Investoren hatten bereits in Thüringen deutlich gemacht, was sie zu leisten vermögen, hebt er hervor.
Die Schlosskirche strahlt noch immer Eleganz aus. Foto: Gerlinde Sommer Die Schlosskirche strahlt noch immer Eleganz aus. Foto: Gerlinde Sommer
Wirklich in die Planung einsteigen kann das Land erst, wenn die Enteignung, die Thüringen beantragt hat, gerichtsfest ist. „Wir können mit den hinterlegten 1,5 Millionen Euro sofort den weiteren Verfall stoppen“, stellt Ramelow in Aussicht. Dann müsse „alles dokumentiert“ werden – und eine „umfassende Planung entstehen. Parallel dazu haben wir eine Arbeitsgruppe beauftragt, nach Ideen zu suchen, damit wir über ein Nutzungskonzept beim Schloss Reinhardsbrunn reden können“, macht der Ministerpräsident deutlich. „Erst muss das Kulturdenkmal gerettet werden“, hebt er hervor – und verweist mit Blick auf eine Nutzung darauf, dass „das Objekt leben muss“.
Daher sei es wichtig, dass Reinhardsbrunn künftig für die Bevölkerung zugänglich sei — und zwar nicht nur zu Parkführungen. „Schloss Reinhardsbrunn muss über den kulturellen Wert hinaus auch einen Wert für die Menschen haben“, sagt Ramelow zu dem, was er den „zweiten Schritt des Auftrages“ nennt.
Dass es nicht einfach ist, ein Schloss zu revitalisieren, hat sich für Ramelow bei Friedrichswerth (ebenfalls im Kreis Gotha gelegen) gezeigt: „Ich habe in drei Jahren so viele Anstöße unternommen, um ein Nutzungskonzept zu entwickeln und wieder Partner zu finden – doch es ist nicht gelungen. Nun plant ein Privater öffentliche Nutzung. Und es muss sich zeigen, ob das tragfähig ist“, gibt er zu bedenken. „Die gleiche Frage“ stelle sich bei Schloss Crossen mit Blick darauf, wie die Gemeinden die weitere Entwicklung vorantreiben können. Ramelow spricht zudem von einer „Reihe weiterer Sorgenkinder“, was bei ihm zu dem Schluss führt: „Wir müssen mit unserem kulturellen Erbe so umgehen, dass wir nicht nur statisch erhalten, sondern es auch lebendig in die nächsten Jahrzehnte bringen.“
Großes Lob zollt Ramelow den Menschen, die sich um den Park kümmern. „Es sind diese Menschen, die es durch ihr Engagement immer wieder erst ermöglichen, dass diese Areale im Bewusstsein der Bevölkerung und damit im Bewusstsein der Regierenden blieben“, sagt Ministerpräsident Ramelow.
Zur Sache: Tausendjährige Geschichte:
1085 Ludwig der Springer gründet das Benediktinerkloster Reinhardsbrunn
1092 Gründung urkundlich anerkannt
1140 Ludwig I. erhält seine Ruhestätte
1330 Herzog Friedrich der Ernsthafte (1310 – 1349) lädt zur Fürstenversammlung
1525 Die Mönche werden davongejagt
1601 Das Amtshaus wird errichtet
1607 Die „Ahnenherrin der Ernestiner“, Dorothea Maria (1562 – 1602), flieht vor der Pest aus Weimar nach Reinhardsbrunn
1782 Johann Wolfgang von Goethe ist Gast, Besuch der Marienglashöhle
1832 Schlosshauptgebäude fertiggestellt, zunehmend Fremdenverkehr
1834 Viktoria (1810 – 1901), später Königin von Großbritannien, besucht als 15-jährige Prinzessin die Region
1840 heiratet der Sohn von Herzog Ernst I., Prinz Albert (1819 – 1861), Queen Victoria
1855 Neubau der Kirche
1876 Im Ahnensaal malt Professor Schneider aus Gotha die 32 Landgrafenbilder in Öltechnik
1896 Die Eisenbahnstrecke wird an Reinhardsbrunn vorbei nach Friedrichroda weitergeführt
1907 Gründung des Vereins für die Erhaltung der Volkstrachten im Herzogtum Gotha
1918 Rücktritt des letzten Herzogs von Sachsen-Coburg und Gotha
1929 Thüringerwaldbahn fährt erstmals vom Gothaer Bahnhof bis nach Tabarz
1935/1943 Im Rahmen der Geheimen Kommandosache „Olga“ wird auch Schloss Reinhardsbrunn als mögliches Führerhauptquartier vorgesehen
Februar 1945 Anmietung durch die Reichskanzlei, 126 Kisten Beutegut kommen an
1947 Landesfeuerwehrschule zieht ein
1953 Schloss wird als Hotel des „VEB Reisebüro“ der DDR wichtiger Devisenbringer
1957 Defa dreht „Rapunzel“; immer beliebtere Urlauber-Region
1991 Kavaliershaus nach Umbau eröffnet
1992 Ressort-Hotel-Gesellschaft kauft Treuhand das Schloss ab
1993 Parkhotel wegen erheblicher Baumängel geschlossen; Rekonstruktion zu teuer
2001 Hotelbetrieb wird eingestellt – Rückübertragung an das Haus Sachsen-Coburg-Gotha kommt nicht zustande
2004 Verkauf an eine einst in Thüringen ansässige Firma; GmbH im Besitz einer weißrussischen Familie – zehn Millionen Schulden- und Hypothekenlast
2011 Förderverein Schloss und Park Reinhardsbrunn entsteht
August 2016 Thüringer Kabinett beschließt Enteignung von Schloss Reinhardsbrunn
2018 Landesverwaltungsamt ist am Zug: Bescheid zur Enteignung soll Anfang Juli ausgestellt werden
TA Gerlinde Sommer / 30.06.18